ruft inzwischen auch der Vorstand meines Unternehmens, doch gibt es wenigstens 6 gute Gründe, beim Alten zu bleiben:

1. Wir müssten effektiver kommunizieren – und das erfordert Augenhöhe. Agile Führung hat eine Menge mit Kommunikation zu tun. Der agile Chef übernimmt Aufgaben im Bereich Coaching und Teamentwicklung. Die in den agilen Konzepten integrierte häufige Reflexion und intensive Kommunikation fördert richtig angewendet – persönliche Entwicklung und Reife der einzelnen Mitarbeiter und damit auch des gesamten Teams. Ein offener Umgang mit Fehlern gehört auch dazu. Reflektierte Mitarbeiter denken viel mehr mit, sind aber auch weniger angepasst. Sie äußern ihre Meinung. Sie sehen sich als mitspracheberechtigt und sind „bevollmächtigt“, das müssen in erster Linie die Führungskräfte ertragen können. Zudem muss das Unternehmen etwas bieten, was Bestand hat, eine gute Leistung, eine klare Aussicht, attraktive Ziele. Ist das nicht der Fall, laufen die reflektierten Mitarbeiter weg, also lieber die Finger davon lassen!

2. Mitarbeiter könnten motiviert werden Motivierte Mitarbeiter sind anstrengend. Sie haben Spaß an der Arbeit und deshalb fordern sie auch so einiges. Sie möchten entlang ihrer eigenen Anstöße und Stärken eingesetzt werden. Es macht keinen Spaß, wie Schimpansen neues Verhalten zu dressieren, obwohl es gar nicht sinnvoll erscheint. Überhaupt besteht die Gefahr, dass Mitarbeiter die Sinnfrage stellen. Wenn Sie diese nicht beantworten können, dann haben Sie ein Problem. In einem demotivierenden Umfeld hat Agilität keinen Platz. Falls Sie dennoch auf die Idee kommen, daran arbeiten zu wollen: Bevor Sie an agile Maßnahmen denken, erinnern Sie sich daran, warum ihre Mitarbeiter gern bei Ihnen arbeiten oder finden Sie es heraus oder lassen sie lieber die Finger davon!

3. Mitarbeiter werden Widersprüche durchschauen – und unangenehme Fragen stellen. Manche Chefs halten ihre Mitarbeiter für naiv. Als ob diese nicht merken würden, dass man unten das Eine predigt und oben etwas Anderes lebt. Offenheit etwa oder Fehlertoleranz. Hier sei im Vorwege ein schonungsloser Artefakte-Check empfohlen. Artefakte sind manifestierte Werte, die zeigen wie etwas gelebt wird. Welche Werte soll ein Team das Unternehmen haben – und was sehen, reden und hören die Mitarbeiter? Hier reicht schon ein Gang durch die Flure, um zu sehen, wo der Frosch die locken hat. Wenn zum Beispiel der Schreibtisch des Chefs zum Fenster ausgerichtet und von Pflanzen abgeriegelt ist, aber Offenheit gefordert ist, gibt es einen Widerspruch. Von Firmen und Leitbildern, die im Schrank oder Portal abgelegt sind, ganz zu schweigen. Falls Sie dennoch auf die Idee kommen, daran arbeiten zu wollen: Bevor Sie daran denken, Werte „auszuarbeiten“, schauen Sie sich an, welche gelebt werden und in Form von Artefakten bereits manifestiert sind, oder lassen sie lieber die Finger davon!

4. Die Unternehmensleitung müsste vom bisherigen Zielorientierungsdenken abweichen – und sich auf neue Prozesse einlassen. „Wie kann man das denn messen?“ Auf diese oft gestellte Frage gibt es nur eine Antwort: Erst mal gar nicht, denn es gibt keine Kennzahlen, zumindest keine die die Wirksamkeit solide erfassen. Man kann auch nicht sagen: Jetzt ist alles eingeführt und gut ist. Wenn ein Unternehmen agiler werden will, so ist das ein laufender Prozess, mit Zielen und iterativen Schleifen ohne Ende. Agil bedeutet, sich immer wieder die Fragen zu stellen: Wo stehen wir? Was war gut? Was geht besser? „Inspect & adopt“ so lautet ein Prinzip, das sich auch auf Führung anwenden lässt – immer wieder drauf schauen und anpassen. Das bedeutet Prozess und Ziel sind gleichwertig und miteinander verzahnt. Beides verschmilzt und steht doch für sich. Der Erfahrung nach ist das intellektuell gut nachvollziehbar, aber die grundlegende Orientierung ist meist entweder auf das Eine oder das Andere gerichtet. Falls Sie auf die Idee kommen, daran arbeiten zu wollen, die beiden Seiten integrieren zu wollen und als Zusammenspiel zu begreifen, müssten Sie wirklich loslassen und bereit sein, sich auf ein Experiment einzustellen, oder lassen lieber die Finger davon!

5. Es könnte erst mal alles schlechter werden Sobald etwas Neues aufkommt, wandelt sich auch das Rudel. Es ist üblich und normal, dass es sich erst einmal negativ auf das Betriebsklima auswirkt. Mehr Vielfalt führt immer auch zu mehr Reibung. Aber was wollen Sie? Flinke, lebendige und veränderungsfreudige Mitarbeiter oder träge, angepasste Veränderungsverweigerer? Das radikal durchgeführte Experiment, eine „Holakratie“ einzuführen, hat bei einer Amazon-Tochter zu einer regelrechten Kündigungswelle geführt. Veränderungen mag keiner, auch die zum Guten nicht. So wird es immer Widerstand geben und eine vorübergehende Verschlechterung des Klimas. Es könnte auch zu Kündigungen kommen. Falls Sie das riskieren wollen: Denken Sie in kleinen Schritten. Berater werden Ihnen oft etwas Anderes verkaufen wollen, da große Projekte lukrativer sind. Aber da sind Sie jetzt ja klüger, oder lassen lieber die Finger davon!

6. Die gesamte Führung müsste an sich arbeiten – das könnte fundamental werden. Wer agiler werden möchte, muss zunächst sein Mindset ändern. Agiler zu werden bedeutet auch, sich selbst in Frage zu stellen. Das hört sich profan an, ist aber der schwierigste Punkt. Unsere Selbstbestätigungstendenz führt uns dauernd dazu, eigene Annahmen als wahr zu betrachten. So suchen wir bisweilen nach der einen Erklärung, aber nicht mehr nach der anderen. Widersprechende Tatsachen blenden wir aus. Ganz besonders schwer fällt es uns, verschiedene Wahrheiten nebeneinander zu akzeptieren, das nennt sich Ambiguitätstoleranz. Doch agiles Denken und Handeln ist Sowohl-als-auch-Denken und -Handeln – und das verlangt Ambiguität. Entwickeln Sie Ihre eigene Denk- und Handlungslogik weiter, indem sie deren „Richtigkeit“ grundlegend in Frage stellen. Es gibt kein richtig und kein falsch, sondern nur ein im Moment passend und sinnvoll. Oder man lässt die Finger davon!